Digitalisierung und Stadtteilkultur – wie geht das zusammen? Zunächst einmal müssen wir anerkennen, dass wir tiefgreifende Veränderungen in unserer Gesellschaft erleben. Einer dieser Megatrends, die derzeit unsere Gesellschaft durchschütteln, ist nämlich die Digitalisierung. Diese müssen wir aktiv gestalten, damit sie einen gesellschaftlichen Mehrwert erhält. Der Senator für Kultur und Medien Dr. Cartsten Brosda bringt die Auswirkungen in seiner Keynote auf den Punkt, die das stadtkultur magazin hier in einem Auszug präsentiert.
Autor: Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien
Was ist mit Digitalisierung gemeint?
Bislang gab es drei Wellen von Digitalisierung, in der dritten und fundamentalsten befinden wir uns aktuell. Die erste Welle haben wir vor mehr als zwei Jahrzehnten mit der Digitalisierung unserer Kommunikations- und Informationstechnologien erlebt. Die zweite Welle betraf die Digitalisierung der Produktions- und Logistikprozesse. In der aktuellen dritten Welle durchdringt die Digitalisierung unseren gesamten Alltag.
Das betrifft die Infrastruktur sowie auch viele andere Bereiche. Städtische Institutionen und staatliche Angebote stellen momentan auf digitale Schnittstellen um. Auch bei den Stadtteilkulturzentren hat die Diskussion darüber begonnen, welche Auswirkungen diese digitale Durchdringung des Alltags hat, inwieweit sie digital interagieren und digitale Technologien beherrschen können müssen.
Digitalisierung in der Stadtteilkultur
Stadtteilkultur schafft klassischerweise Orte, an denen durch zivilgesellschaftliches Engagement und Zuwendungen des Staates ermöglicht wird, dass sich Gesellschaft als Gesellschaft real im Gespräch und in der Kulturproduktion begegnet. Stadtteilkulturzentren sind also Orte, an denen wir etwas systematisch und strukturell schaffen, das sich in der Moderne in größeren sozialen Gruppen nicht mehr aus sich selbst heraus ergibt. Solche Begegnungsräume waren früher Marktplätze oder Kirchen, die davon geprägt waren, dass dort das vermittelt wurde, was schon immer so war und deshalb auch zukünftig immer so bleiben wird. Solche Orte sind mittlerweile abgelöst worden von Orten, an denen wir uns offen und diskursiv damit auseinandersetzen, was möglich sein kann, weil wir uns als Verschiedene begegnen. In der Begegnung kann es uns gelingen, aus der Verschiedenheit heraus auch Gemeinsamkeiten zu entdecken. Stadtteilkulturzentren sind also kommunikative Begegnungsräume, in denen wir verhandeln, wie wir es hinbekommen, dass solidarische Strukturen und daran anschließend eine aufgeklärte Gemeinschaft neu entstehen. Die daraus erwachsende Gesellschaftlichkeit muss immer wieder neu geschaffen werden, weil in der Moderne nichts mehr traditional von vornherein gesetzt ist.
Wir beobachten, dass die dafür notwendige soziale Kommunikation immer häufiger nur noch dann zustande kommt, wenn ihr ein digitaler Informationsprozess vorgelagert ist. Immer öfter wird sie sogar substituiert durch einen digitalen Prozess oder löst sich gleichsam in ihm auf. Die darin liegende Entgrenzung kann eine Chance sein. Sie kann aber auch der Flucht in eine gleichsam virtuelle, unserer Gesellschaft entrückte Gemeinschaft dienen, in der man das Verschiedene nicht mehr entdecken muss, sondern sich mit Gleichen zusammentun kann. Wir nennen das filter bubble oder Echokammer. Die Herausforderung für die Stadtteilkulturzentren besteht angesichts dessen darin, auch weiterhin der Ort zu sein, an dem Verschiedene zusammenkommen, weil sie eben nicht in sozial- oder statusbezogenen Gruppen isoliert miteinander kommunizieren wollen.
Analoge kommunikative Freiheitsräume
In der klassischen Arbeit der Stadtteilkulturzentren, wie wir sie kennen, entstehen Freiheitsräume, in denen Selbstermächtigungsprozesse von sich begegnenden Bürger*innen stattfinden. Daraus entwickeln sich Emanzipationsbewegungen, die am Ende in neuen solidarischen Strukturen einer Gesellschaft, die dieser solidarischen Strukturen dringend bedarf, münden können. Darum geht es in der Stadtteilkulturarbeit. Die Frage ist also: Wie verändern sich diese Begegnungsräume unter den Umständen und Möglichkeiten digitaler Entwicklung? Wie kann es Stadtteilkulturzentren gelingen, die neuen Möglichkeiten so zu nutzen, dass sie ihre eigenen Angebote und vor allem ihre Bekanntheit damit noch verbessern können. Diese kommunikative Dimension ist der erste wichtige Aspekt, der bei der Digitalisierung der Stadtteilkultur auf der Hand liegt.
1. Neue Kommunikationsmöglichkeiten
Bisher setzte die Arbeit voraus, dass Menschen in die Zentren kommen. Die Kosten, um heutzutage über eine gezielte Ansprache Menschen in ein Stadtteilkulturzentrum zu locken, sind wesentlich niedriger, als mit analogen Mitteln, wie beispielsweise Flyern. Im Zuge der Digitalisierung ist es insgesamt viel einfacher geworden, sich an eine große Öffentlichkeit zu wenden.
Allerdings haben wir noch eine ganze Wegstrecke vor uns, denn wir schaffen es damit zwar, die eigene Meinung in die Welt zu bringen, wir haben aber noch keinen digitalen Mechanismus etabliert, mit dem es gelingt, die digitale Vielzahl an Meinungen so miteinander zu vernetzen, dass daraus wieder eine orientierende öffentliche Meinung entsteht. Deswegen sind „reale“ Orte wie Stadtteilkulturzentren so wichtig, weil dort Verständigungsprozesse stattfinden. Und diese Orte werden genau darum in Zukunft vermutlich noch wichtiger werden, damit wir uns im Realen über Dinge auseinandersetzen können, denen wir uns sonst vielleicht eher nur ausgeliefert fühlen.
Die Aufgabe für alle Kultureinrichtungen und -anbieter wird insbesondere darin bestehen, die neuen kommunikativen Möglichkeiten so zu nutzen, dass die Menschen, die wir erreichen wollen, davon erfahren und davon angeregt werden. Wenn es für die Menschen unplausibel ist, ein Kulturangebot anzunehmen, dann muss es plausibilisiert werden. Das geht heute nicht mehr über ein Flugblatt.
2. Neue Partizipationsmöglichkeiten
Der zweite Bereich, in dem man digitale Techniken sinnvoll einsetzen kann, sind partizipative Angebote. Wenn wir digitale Technologien so nutzen, dass sie die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen oder an Gemeinschaft ermöglichen, in denen etwas entsteht, dann ist viel gewonnen. Denn wir haben in unserer Gesellschaft trotz des Imperativs der 1970er Jahre „Kultur für alle!“ immer noch viele Teilhabehürden. Wir müssen uns darum kümmern, diese abzubauen. Digitale Techniken können uns dabei helfen, weil sie die Kosten für die Organisation von Teilhabeprozessen deutlich senken können.
3. Neue Produktionsmöglichkeiten
Als dritter Bereich kann – neben der Kommunikation und der Partizipation – der Bereich der Produktion von der Digitalisierung profitieren. Die Stadtteilkulturzentren gehörten schon immer zu den ersten, die Medienkompetenzvermittlung organisiert haben: Damals waren es die TV-, Radio- und Videokurse, heute ist es der Wissenstransfer über die Nutzung digitaler Technologien. Die Vermittlung dieses Wissen zielt sowohl auf Teilhabemöglichkeiten als auch auf die Befähigung zur produktiven Nutzung dieser Technologien.
„Try Again. Fail again. Fail better.“
Samuel Beckett
Ein Stadtteilkulturzentrum kann natürlich auch die bewusste Entscheidung treffen, einen harten Kurs gegen die Digitalisierung zu fahren und bewusst ausschließlich analog zu arbeiten. Ich will auch gar nicht ausschließen, dass das für eine Nischenpositionierung für das ein oder andere Angebot ein interessanter Ansatz sein kann. Für Institutionen, die aber den Anspruch haben, einer Gesellschaft insgesamt Angebote zu machen, die die Gesellschaft ermächtigen, Zusammenhang und Zusammenhalt zu stärken, ist das keine Option. Der alte Leitspruch „Kultur für alle und von allen“ ist immer noch eine Utopie, an der wir festhalten sollten.
Wesentlich ist, gemeinsam Strategien zu entwickeln, um künftig in der Stadtteilkultur die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, ohne ihre Risiken zu verkennen. Dabei hilft nur auszuprobieren, wie es gelingen kann, die sozialräumlichen Strukturen auch digital so anzusprechen, dass Kommunikation, Partizipation und Produktion erfolgreich befördert werden. Das gilt für jeden gesellschaftlichen Akteur, egal ob es sich um ein Unternehmen oder ein Stadtteilkulturzentrum handelt.
Ausblick
Diese Strategien sind übrigens auch in einem globalen Maßstab von Bedeutung. Aktuell sehen wir nämlich zwei starke Ausprägungen digitaler Innovation: In den USA, im Silicon Valley, finden wir einen stark marktradikal betriebenen Digitalisierungsprozess, dem es ausschließlich darum geht, Profite zu optimieren. In China hingegen beobachten wir einen autoritären, vollständig staatsgetriebenen Digitalisierungsprozess, der sogar so weit führt, dass durch das Wissen, das der chinesische Staat über das Verhalten seiner Bürger*innen hat, soziale Belohnungssysteme entwickelt werden.
Die Frage ist: Wie gelingt es Europa, zwischen diesen beiden Wegen – dem rein marktgetriebenen und dem autoritär staatsgetriebenen – einen dritten, gesellschaftsgetriebenen Weg der Digitalisierung zu entwickeln? Wie können wir die Rahmenbedingungen für die digitalen Technologien so bestimmen, dass sie zum gesellschaftlichen Nutzen eingesetzt werden? Das ist der entscheidende Punkt. An dieser Wegscheide stehen wir im Moment. Wenn Europa sich jetzt nicht auf den Weg macht, dann haben wir irgendwann nur noch die Entscheidung, uns dem einen oder dem anderen Weg anzuschließen. Das fände ich beides nicht zufriedenstellend und wäre sehr dafür, dass wir den dritten Weg gehen und uns gemeinsam gesellschaftlich diese Technologien aneignen. Ich bin mir sicher: Wenn wir es wollen, dann schaffen wir das. Dazu brauchen wir diejenigen, die auf dem Platz sind, und zu denen gehören auch die Stadtteilkulturzentren.
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