Partizipation ist schön, macht aber viel Arbeit

„Mitdenken – Mitgestalten – Mitentscheiden“ – das ist ebenso Versprechen wie Selbstverpflichtung des Bürgerhauses Wilhelmsburg. Gleichzeitig beschreibt dieser Dreiklang die Kriterien der Arbeit des Bürgerhauses.

Autorin: Bettina Kiehn

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Partizipation im Rahmen der IBA, Foto: Bente Stachowske

Ausgangspunkt für die Entwicklung dieser Kriterien war die Frage, wie die Arbeit eines Bürgerhauses in einem hyper-diversen Stadtteil bedarfsgerecht gestalten werden kann. Das ursprüngliche Konzept eines wohnortnahen Veranstaltungszentrums mit klassischem Kursprogramm war nicht mehr die adäquate Lösung. Nachdem das Bürgerhaus die Einladung zum „Mitdenken“ an einem bedarfsgerechten Bürgerhaus an mögliche Kooperationspartner, Multiplikatoren und im Stadtteil Aktive ausgesprochen hatte, entfaltete sich das Potenzial dieses Vorgehens. Das Haus lud zum „Mitgestalten“ von Projekten ein und zum „Mitentscheiden“ über die Umsetzung. Die Angebotsstruktur und die Aufgaben der Mitarbeiter*innen haben sich in diesem mehrjährigen Prozess grundlegend verändert. Gleichzeitig haben sich die Akzeptanz des Hauses im Stadtteil vergrößert und die Zahl der Besucher*innen vervielfacht.

Voraussetzung, um das Versprechen des „Mitdenken – Mitgestalten – Mitentscheiden“ einzulösen, war die interne Klärung des Rollenverständnisses der Hauptamtlichen. Sie sind nicht die Hüter*innen kultureller Werte, deren Aufgabe darin besteht, diese an die Zielgruppen zu vermitteln, indem ansprechende Formate entwickelt werden. Es geht darum, einen Rahmen dafür zu schaffen, dass die Bewohner*innen Wilhelmsburgs ihre kulturellen Werte und Bedarfe zum Ausdruck bringen und mit anderen in Austausch kommen können. Dazu agiert das Bürgerhaus mit den Partner*innen und in Netzwerken unter Gleichen. Das Haus stellt seine Vorstellungen ebenso wie alle anderen zur Diskussion und nutzt seine Ressourcen, um das gemeinsam entwickelte Ergebnis mit umzusetzen.

Ob das Team der Verpflichtung des „Mitdenken – Mitgestalten – Mitentscheiden“ gerecht wird, wird auch daran gemessen, inwieweit Menschen im Haus erleben können, dass sie Fähigkeiten zur Gestaltung haben und das Bürgerhaus ihnen hilfreiche Kompetenzen dafür vermitteln kann.

Ein Beispiel, wie der Dreiklang zum soliden Fundament des Selbstgestaltens führt, ist das Elbinsel Gipsy Festival. Nach einem siebenjährigen Prozess des gemeinsamen Weiterentwickelns des Projektes mit der ansässigen Sinti-Community und dem Landesverein der Sinti e.V., wechselt nun der Landesverein der Sinti in die Rolle des Veranstalters. Das Bürgerhaus bleibt Kooperationspartner.

Auch beim Projekt 48h Wilhelmsburg ist das „Mitdenken – Mitgestalten – Mitentscheiden“ der zentrale Gelingens-Faktor. 96 Prozent der beteiligten Musiker*innen und 82 Prozent der Orte stimmen der Aussage „48h Wilhelmsburg wird ‚von unten‘ durch die Bewohnerinnen und Bewohner der Elbinseln gestaltet“ voll oder überwiegend zu. Über die Hälfte der Musiker*innen können bestätigen, dass sie durch ihre Teilnahme an 48h Wilhelmsburg Handlungsideen und Kompetenzen erwerben, um sich aktiv für ihre Belange einzusetzen. Das ergab eine Evaluation von 2013.

Die wichtigste Kompetenz der Mitarbeiter*innen des Bürgerhauses ist es heute, aktive Netzwerkknoten zu bilden, größtmögliche Handlungsrahmen für die Akteursgruppen der Projekte zu schaffen und die Umsetzung sicherzustellen. Das erfordert hohen Zeiteinsatz für die Kommunikation, oft auch diplomatisches Geschick und umfangreiches Management von (Entscheidungs-)Prozessen. Auf alle Fälle ist es eine anstrengende Art zu arbeiten, deren Wirkung oft erst über einen langen Zeitlauf sichtbar wird. Belastet ist diese Arbeit zudem durch die strukturelle Unterfinanzierung des Bürgerhauses und die daraus folgende Bindung erheblicher Ressourcen im Fundraising.

Diesen Langstreckenlauf bewältigt das Bürgerhaus durch das Wissen, dass die Repräsentation der parlamentarischen Vertreter*innen Wilhelmsburgs auf dünnem Eis steht. Auf Grund ihres Status als Ausländer*innen sind 32 Prozent der Wilhelmsburger*innen laut der „Hamburger Stadtteilprofile 2014“ des Statistikamt Nord von Wahlen ausgeschlossen. Die Wahlbeteiligung lag bei der Hamburgischen Bürgerschaft 2015 mit 42 Prozent deutlich unter dem Hamburger Durchschnitt. Das heißt, nur 29 Prozent der Wilhelmsburger Bevölkerung sind real an der repräsentativen Demokratie beteiligt. Sie braucht daher zwingend partizipative Verfahren als Ergänzung. Die Notwendigkeit grundlegende demokratische Werte – Mitdenken, Mitgestalten, Mitentscheiden – erlebbar zu machen, sieht das Bürgerhaus deutlich über das Feld „Kultur“ hinaus.

Mit dem Projekt „Perspektiven! Miteinander planen für die Elbinseln“ sorgt das Haus z.B. dafür, dass die Bedarfe der ansässigen Bevölkerung in die umfangreichen Planungen zum Bau neuer Wohnquartiere in Wilhelmsburg, zum frühestmöglichen Zeitpunkt, nämlich bereits in die Auslobung der städtebaulichen Wettbewerbe, einfließen. Das Bürgerhaus entwickelt und organisiert Bürger*innenbeteiligung in einem Aushandlungsprozess mit z.B. dem Beirat für Stadtteilentwicklung, dem Bezirksamt Hamburg-Mitte und der IBA Hamburg GmbH.

KONTAKT
Stiftung Bürgerhaus Wilhelmsburg
Mengestraße 20 · 21107 Hamburg · www.buewi.de
www.musikvondenelbinseln.de/48h

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