Investieren Sie Ihre Wünsche

„Ein neues Stück St. Pauli“ oder „ein modellhafter demokratischer Planungsprozess“, so und ähnlich lauten die Kommentare zum Entwurf für die Neubebauung des so genannten Esso-Häuser-Areals am Spielbudenplatz. Das hohe Interesse an diesem Projekt beruht vor allem auf dem innovativen, vorgeschalteten, breitgefächerten Beteiligungsprozess. Dieser Prozess wurde im Stadtteil eingefordert, mit hohem Druck erwirkt und durch die PlanBude, einem interdisziplinären Team, an dem auch die GWA St. Pauli beteiligt ist, umgesetzt.

Autor*innen: Christina Röthig und Steffen Jörg

Das Planungsbüro ist direkt am zukünftigen Ort des Gebäudes und damit im Alltagsleben der zukünftigen Nachbar*innen platziert, Foto: PlanBude, Margit Czenki
Das Planungsbüro ist direkt am zukünftigen Ort des Gebäudes und damit im Alltagsleben der zukünftigen Nachbar*innen platziert, Foto: PlanBude, Margit Czenki

Im Oktober 2014 startete der Beteiligungsprozess des Stadtteils an der Neuplanung, konzipiert und durchgeführt durch die PlanBude. Dafür erhielt sie den offiziellen Auftrag vom Bezirk. Mit einer Vielzahl an Ansätzen hat das Team eine breite Palette von Zugängen zum Planungsprozess ermöglicht: von Haustürgesprächen und flächendeckend verteilten Fragebögen in fünf Sprachen über den vor Ort installierten Planungscontainer bis zu anregenden, künstlerischen Tools wie dem Knetmodell, dem Legomodell, Nachtkarten, Lesungen und Workshops in den umliegenden Lokalen, sozialen Einrichtungen und Kaschemmen. Mehr als 2000 Beiträge wurden in den Planungscontainern produziert und eingereicht. Diese Fülle an Ideen und Wünschen wurde durch die PlanBude zu architektonischen Vorgaben und Nutzungskonzepten ausgearbeitet.

Die Ergebnisse, die zwischen der Eigentümerin Bayerische Hausbau, dem Bezirk und der PlanBude ausgehandelt wurde, bilden die Grundlage für die Neubaupläne: 60 Prozent des Wohnraums werden öffentlich gefördert sein, davon wird ein Teil als experimentelle, gemeinschaftliche Wohnformen von Baugemeinschaften umgesetzt. Zudem sind 2.500 Quadratmeter gewerbliche Fläche mit vergünstigten Mieten vorgesehen, die nichtkommerzielle und gemeinschaftliche Räume für den Stadtteil und Raum für innovative Konzepte und Subkultur ermöglichen: Keine Eigentumswohnungen, keine Ketten, keine Büros.

Dem PlanBude-Prozess ging ein jahrelanger Kampf der Initiative Esso-Häuser um den Erhalt der Häuser voraus. Durch vielfältige Aktionen, die breite Solidarität aus dem Stadtteil und die Kollaboration mit Künstler*innen und Initiativen aus dem „Recht auf Stadt“-Netzwerk erreichte der Konflikt eine Öffentlichkeit über Hamburgs Grenzen hinaus. Er wurde zum einem wichtigen Symbol in der Auseinandersetzung gegen Gentrifizierung. Zwar konnte der Abriss nicht verhindert werden, die Neubaupläne wollte der Stadtteil aber nicht der Eigentümerin alleine überlassen. Auf der Stadtteilversammlung von „St. Pauli selber machen“ entstand die PlanBude aus einer Forderung nach einer von Grund auf anderen Planung.

PlanBude ist selbst das Produkt der reichen Initiativenlandschaft des Viertels, die lange als Kultur der Selbstermächtigung stadtpolitische Prozesse initiiert und mitgestaltet hat. Seit 2014 existiert mit „St. Pauli selber machen“ eine Plattform, die Selbstorganisierung und stadtpolitische Einflussnahme praktisch werden lässt. Sie ist eine Fortführung von „SOS St. Pauli“ und baut auf den gesammelten Erfahrungen aus Auseinandersetzungen um die Hafenstraßenhäuser, Park Fiction, No BNQ etc. auf. Auch die GWA St. Pauli bringt sich in jene Prozesse mit ihren Ressourcen ein und unterstützt die Aktivitäten sowohl prozesshaft als auch kontinuierlich.

Die üblichen Beteiligungsverfahren sind oft schnöde, uneinladende Infoveranstaltungen und reduzieren sich nicht selten darauf, bereits beschlossener Planung mit Beteiligungsshows ein Akzeptanzmanagement zu verschaffen. Die Bereitschaft für einen ergebnisoffenen Planungsprozess, in dem sich verschiedene Interessen auch durchsetzen können, ist meistens gering. Die PlanBude setzt dem ein anderen Beteiligungsprozess entgegen: kreativ, zugänglich, intuitiv, niedrigschwellig, demokratisch, ergebnisoffen, breitgefächert – und vor Ort organisiert. Grundlage bei all dem ist das Konzept der Wunschproduktion, das bereits in der Planung des Park Fictions entwickelt wurde. Der intensive Ansatz der PlanBude verknüpft die Felder Kunst, Pop, Urbanismus, Planung und Soziale Arbeit mit der Straße, mit der bewohnten Stadt, mit dem lokalen Wissen und mit der Imaginationskraft der Vielen.

Auch wenn die Entwicklung beim Esso-Areals auf ein zukunftsweisendes Beispiel einer demokratisierten Stadtplanung hinweist, gibt es noch genügend Stolperfallen in der Realisierung der Bebauung, z.B. in der langfristigen Sicherung der stadtteilorientierten Flächen. Es bedarf weiterhin kreativer Netzwerke und einer aktiven Stadtteilbevölkerung, die die Bedürfnisse aller hier Lebenden einbringt und auch durchsetzt. Und es bedarf weiterhin einer PlanBude vor Ort, um an den entscheidenden Stellen im Verfahren direkte Mitgestaltung zu
ermöglichen. Viele Anwohner*innen verfolgen den Prozess, erfahren, wie sich ihre Wünsche räumlich und gestalterisch verdichten. Gerade die aktive Begleitung des Prozesses und partizipative Fortführung sichert die Realisierung des Ortes im Sinne des „St. Pauli Codes“.

Die beteiligten Akteure haben an dieser Stelle etwas gewagt und viel gewonnen. Umso mehr irritiert es, dass offizielle Stimmen laut werden, die betonen, dass der PlanBuden-Prozess nur eine Ausnahme sein kann. Wenn aber Beteiligung in Stadtentwicklungsprozessen ernsthaft gewollt ist, dann müssen genau solche Prozesse zum Standard werden. Entscheidend ist doch, dass Stadt anders gestaltet werden kann: partizipativ im Wortsinn – Beteiligung nicht nur ermöglichend sondern auf Beteiligung und dem lokalen Wissen aufbauend.

KONTAKT
GWA St. Pauli
Hein-Köllisch-Platz 11 + 12 · 20359 Hamburg
www.planbude.de · www.initiative-esso-haeuser.de

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