Zukünftige Aufgaben der Soziokultur in einer internationalen Metropolstadt

Als die soziokulturelle Bewegung Ende der siebziger Jahre Fahrt aufnahm, ging es vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Umbruchsituation um die „Demokratisierung der Kultur“ und um „Kultur für alle“. Dörte Inselmann, Vorstandsvorsitzende von STADTKULTUR HAMBURG und Intendantin der Stiftung Kultur Palast Hamburg, über eine werteorientierte Bewegung mit bundesweiter Perspektive.

Autorin: Dörte Inselmann

Foto: C. Deppermann
Foto: C. Deppermann

Die Soziokultur trat bundesweit für Werte ein, die heute Grundpfeiler unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens in Deutschland und Europa bilden: Das Recht auf Teilhabe und Mitgestaltung an Kultur, ressourcenbewusster und nachhaltiger Umgang mit der Umwelt, Bildungsgerechtigkeit, Weltoffenheit, Respekt und Toleranz anderen Kulturen gegenüber, das Recht auf Persönlichkeitsentfaltung, Akzeptanz vieler Lebensstile, Einbeziehung aller Kulturen, Gleichberechtigung von Mann und Frau und vieles mehr.

Wir erleben heute wieder einen starken Wandel unserer Gesellschaft: Dieses Mal ist es der Weg zu einer internationalen Stadtgesellschaft, der für das wirtschaftliche Wachstum und den sozialen Zusammenhalt der Metropol- und Hafenstadt Hamburg erhebliche Chancen, aber auch Risiken in sich birgt.

Hamburg gehört deutschlandweit mit über 30 Prozent zu den Städten mit dem höchsten Migrationsanteil, in einzelnen Stadtgebieten sind es bis zu 94 Prozent. Speziell in Randgebiete, in denen sich mit 70 bis 94 Prozent eine überdurchschnittliche Verdichtung vom Menschen mit Migrationshintergrund ent­wickelt hat und auch die soziale Armut fortschreitet, ist zudem auch noch sehr oft ein niedriges Bildungsniveau vorzufinden. Es ist zu beobachten, dass Menschen, denen es materiell schlechter geht, sich umso stärker über ihre ethnische kulturelle und religiöse Zugehörigkeit identifizieren. Einflussresistente Wertegerüste von Religionen und patriarchalischen Familienstrukturen verschaffen Menschen am Rande der Gesellschaft eine kollektive Aufwertung durch das Bewusstsein der Über­legenheit ihrer Werte. Damit ist der Boden für eine Gefolgschaft von fundamentalistischen Gruppierungen bereitet.

Es stellt sich die Frage, welche gemeinsamen, kulturübergreifenden Werte im gesellschaftlichen Miteinander in Deutschland zu identifizieren sind und wie die Entwicklung einer gemeinsamen kulturellen werteorientierten Identität ermöglicht werden kann – und welchen Beitrag die Soziokultur dazu leisten könnte.

Foto: C. Deppermann
Foto: C. Deppermann

Soziokultur heute: Hüter und Vermittler der gesellschaftlicher Werte, die sie einst erstritt

Um Parallelgesellschaften und religiösem Fundamentalismus entgegenzuwirken, bedarf es der Stärkung einer wertebasierten Identität. Es geht um eine tragfähige, klare Zugehörigkeit der in Hamburg bzw. Deutschland lebenden Menschen, die auch einer transkulturellen, interkulturellen Gesellschaft und den hier lebenden Menschen mit ihren jeweiligen kulturellen Hintergründen gerecht wird und diese mit einbezieht.

Es müssen also Strategien entwickelt werden, die den fundamentalistischen Gruppierungen den Boden für eine Gefolgschaft zu entziehen. Sie müssen von allen Kultur- und Bildungsinstitutionen in einer Region – wie Kita, Schule, Kultur und Jugendhilfe etc. – getragen werden, um demokratische Werte zu vermitteln und auf dieser Basis gemeinsam ein gelingendes Miteinander zu gestalten. Auf folgende Fragen müssten von diesem Netzwerk Antworten entwickelt werden:

  • Welche anderen Identitäten und positiven Aufwertungen/Wertschätzungen/Erfolge können speziell bei jungen Menschen gestärkt und gefördert werden?
  • Wie können wir die Gewaltorientierung in patriarchalischen Familienstrukturen auflösen?
  • Welche Wertekonformität kann zu anderen Kulturen ­hergestellt werden? Wie gehen andere Länder mit diesen Problemen um?

Die Hamburger Soziokultur hat vielfältige und erprobte ­Strategien entwickelt, um unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen und Kulturen zusammenzubringen und eine auf Gemeinsamkeit orientierte Mitgestaltung an Kultur zu ­entwerfen, die eine starke und immer noch wachsende Akzeptanz und Resonanz findet.

Die Häuser haben sich Vertrauenspositionen und große Netzwerke in den Stadtteilen erarbeitet, die in die ganze Region hineinstrahlen und Kräfte bündeln können. Soziokultur ist Experte darin, konstruktive Diskurse und vermittelnde Dialoge zu führen, aber auch kulturelle Potenziale zu profilieren und sichtbar zu machen. Sie fördert werteorientierte Kulturen und Kunstformen und bildet komplexe Netzwerke mit unterschiedlichsten Partnern und innovative Ansätze, die Bildungszugänge und kulturelle Teilhabe für alle realisieren und gemeinsame kulturelle Identitäten schaffen.

Die stadtteilkulturellen Ressourcen sind allerdings bei ­weitem noch nicht ausreichend, um entsprechende Programme und Angebote in dem sich abzeichnenden, nötigen Umfang zu leisten.

Foto: Kathrin Brunnhofer
Foto: Kathrin Brunnhofer

Inhaltlich ist Soziokultur die einzige Instanz in den Stadtteilen, die stadtweit vernetzt ist und zugleich ganzheitliche Ansätze konzeptionieren und moderieren kann. Ihre gesellschaftspolitische – aber an keine Partei gebundene – Tradition macht sie zu einem wichtigen Partner bei Demokratisierungsprozessen, die die aktive Teilhabe und Mitgestaltung der Menschen mit künstlerisch-kreativen Mitteln ermöglichen und aktivieren. Soziokultur bietet die Chance, den zukünftigen Herausforderungen stadtgesellschaftlich gewachsen zu sein und das Profil Hamburgs als weltoffene Hafenstadt und attraktiven Wirtschafts- und Bildungsstandort weiter zu stärken.

Kontakt: Stiftung Kultur Palast Hamburg, Öjendorfer Weg 30a, 22119 Hamburg, 040/822 45 68-0, , wwww.kph-hamburg.de

Fotos (v.l.n.r.): C. Deppermann, Jan-Rasmus Lippels, C. Deppermann, Kathrin Brunnhofer

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