In welcher Stadt wollen wir leben?

1983 rief Klaus von Dohnanyi im Überseeclub das „Unternehmen Hamburg“ aus und leitete damit einen Paradigmenwechsel in der Stadtentwicklungspolitik ein. Nicht das Gemeinwesen mit seiner heterogenen Stadtbevölkerung steht im Fokus politischen Handelns: Stadt reduziert sich auf den Raum zur Realisierung wirtschaftlicher Profite, die ja irgendwann auch allen Teilen der Gesellschaft zu Gute kommen, so die Argumentation. Die Stadtteilkultur setzt dem im Rahmen der „Recht auf Stadt“-Bewegung die Idee einer sozialen, auf Partizipation aufgebauten Stadtentwicklung entgegen.

Autoren: Christina Röthig und Steffen Jörg

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Eine Stadt ist keine Marke, Foto: Olaf Sobczak

Die Aussage „die Ökonomie ist der Motor der Stadtentwicklung“ des Stadtplaners Julian Petrin von Nexthamburg bringt die zentrale Idee des „Unternehmens Hamburg“ auf den Punkt: Profite, Rendite und der Markt sind die Triebfedern, die eine Stadtentwicklung vorantreiben. Genau diese ökonomisierte Stadtentwicklungspolitik ist es aber, die jene problematischen Entwicklungen hervorbringt, die wir seit Jahren in Hamburg und vielen anderen Großstädten weltweit beobachten. Gentri­fizierung, Verdrängung, Homogenisierung von Bevölkerungszusammensetzung aber auch von Gewerbestrukturen und Segregation der Stadtteile sind Schlagworte, die verstärkt seit 2009 mit der Gründung des „Recht auf Stadt“-Netzwerkes diskutiert und problematisiert werden. Es besteht ein evidenter Widerspruch zwischen einer sozialen Stadtentwicklung, die immer wieder von der Stadt Hamburg proklamiert wird und der postfordistischen Standortpolitik, welche das Ziel verfolgt, Hamburg für privatwirtschaftliche Investitionen und höhere Konsumklassen attraktiv zu machen.

Will die Politik die städtischen Segregationsprozesse aufhalten und eine echte soziale Stadtentwicklung verfolgen, die alle Mitglieder der Stadtgesellschaft mitnimmt, braucht es einen Paradigmenwechsel und eine neue Beteiligungskultur. Und darin kann und muss die Stadtteilkultur eine tragende Rolle spielen.

Partizipation heißt, das lokale Wissen und Engagement ernst zu nehmen und in politische Entscheidungen ernsthaft und auf Augenhöhe einzubeziehen. Partizipation heißt auch, aus dem Stadtteil organisierte Prozesse zu unterstützten und u.a. mit Räumen auszustatten. Es existieren soziokulturelle und soziale Einrichtungen, die die aktuell proklamierte sozialraum­orientierte Arbeit in den Quartieren bereits seit Jahren leisten. Stadtteilkulturzentren sind mehr als Veranstaltungsorte kultureller Angebote. Sie sind Räume des alltäglichen Austauschs, die politische Auseinandersetzungen sowie die aktive Gestaltung des sozialen und kulturellen Gemeinwesens befördern.

In den aktuellen Auseinandersetzungen in Hamburg um eine „andere“ Stadtentwicklung entstanden in jüngster Vergangenheit neue Orte soziokultureller Bedeutung – wie das Centro Sociale, das Gängeviertel oder der Welt*Raum. Sie entspringen selbstorganisierten Gruppen – wie auch einst viele der etablierten Stadtteilkulturzentren. Diese und viele andere Orte wie die Keimzelle, KEBAB, Zomia, Frappant, Rote Flora, Gartendeck und andere haben sich in der Kampagne „Solidarische Raumnahme“ zusammengeschlossen, um eine Akzeptanz, Würdigung und Unterstützung ihres Engagements einzufordern. Gegen das Konzept der unternehmerischen Stadt praktizieren sie das solidarische Gemeinwesen. Ziel der Kampagne ist es, bereits existierende aber auch neu entstehende Räume in Quartieren zu unterstützen. Die Erhöhung der Lebensqualität in den Quartieren soll nicht zu Lasten, sondern für die dort lebende Bevölkerung geschehen.

Menschen zu ermutigen, sich aktiv für die Gestaltung ihres Lebensumfeldes einzusetzen, ist ein zentrales Anliegen der soziokulturellen Stadtteilarbeit. Die GWA St. Pauli z. B. greift solche Themen auf und bezieht dabei immer Position für benachteiligte Bevölkerungsgruppen, wie z. B. bei der Durchsetzung des von Anwohnerinnen und Anwohnern geplanten „Park Fiction“.

Auch aktuell gibt es auf St. Pauli verschiedene Aktivitäten, die die GWA St. Pauli begleitet und unterstützt. Bei „St. Pauli selber machen“ setzen sich Anwohner mit den divergierenden Inter-essen im Stadtteil auseinander und initialisieren einen politischen Rahmen der direkten Einflussnahme auf stadtpolitische Entscheidungen und Diskurse. Genau diese Orte und dieses Engagement gilt es zu stärken und auszubauen, wenn eine soziale Stadtentwicklung ihrem Namen gerecht werden will – denn bislang finden diese Aktivitäten unter höchst prekären Rahmenbedingungen statt.

Abriss der Esso-Häuser auf St. Pauli, im Hintergrund die tanzenden Türme, Foto: Olaf Sobczak
Abriss der Esso-Häuser auf St. Pauli, im Hintergrund die tanzenden Türme, Foto: Olaf Sobczak

Auch im Bereich der Partizipation braucht es neue Wege: Die PlanBude, die den Beteiligungsprozess des Stadtteils zur Neuplanung des Esso-Häuser-Geländes organisiert, ist ein Beteiligungsverfahren aus und für den Stadtteil und wurde in einer Stadtteilversammlung Anfang 2014 gefordert. Dass der Bezirk Mitte der PlanBude, einem interdisziplinären Team aus Fachleuten und Anwohner, diesen Auftrag erteilt hat, lässt sich nicht zuletzt auf die jahrelange Öffentlichkeitsarbeit, den politischen Druck, der um den Abriss der Esso-Häuser aufgebaut wurde, und anderen im „Recht auf Stadt“-Kontext ausgetragenen Konflikte zurückführen.

Diese Form der Beteiligung ist neu, denn sie findet frühzeitig und dem städtebaulichen Verfahren vorgeschaltet statt – also bevor alles entschieden ist. Das innovative Beteiligungsverfahren, das von der PlanBude praktiziert wird, ist ein Modell für eine andere Form der Partizipationskultur. Zu wünschen wäre, dass sich dieser Ansatz als ein selbstverständlicher Standard etabliert.

Soziokulturelle Stadtteilarbeit kann einen wichtigen Beitrag zur wirkmächtigen Partizipation, aber auch zur Aktivierung und Selbstorganisierung der Stadtteilbevölkerung beitragen und damit eine nachhaltige soziale und gerechte Stadtentwicklung fördern. Dieses Engagement aus den Stadtteilen muss aber von Seiten der Politik als eine besondere Qualität stadtteilkultureller Arbeit anerkannt und finanziell ausreichend unterstützt werden.

Kontakt: GWA St. Pauli, Hein-Köllisch-Platz 11+12, 20359 Hamburg, 040/319 36 23, , www.gwa-stpauli.de

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