Geht das gut? Und wie?!

Die Pandemie stellt die Hamburger Stadtteilkultur vor die Herausforderung, Bürgerinnen und Bürger zusammenzubringen, obwohl man nicht mit vielen zusammen an einem Ort sein darf. Technik ist hier ein wichtiges Hilfsmittel. Nach der Pandemie wird es darum gehen, abzuwägen, welche digitalen Kulturtechniken wir wie weiterentwickeln können.

Autor: Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien

Dr. Carsten Brosda bei seiner Online-Keynote via Videokonferenz, Screenshot: STADTKULTUR HAMBURG

Als 2014 das Ebola-Virus die Welt in Atem hielt, spekulierte der amtierende US-Präsident Barack Obama in einer Rede darüber, wie wir wohl mit über die Luft übertragbaren Krankheiten, die sich zu einer Pandemie zuspitzen könnten, umgingen. Wenn man das heute hört, sorgt das für Gänsehaut. Denn jetzt, inmitten der Coronapandemie 2020, müssen wir feststellen, dass wir uns nicht ausreichend auf solche Szenarien vorbereitet haben.

Für Stadtteilkulturzentren ist der Umgang mit Unsicherheit und Unplanbarkeit kein Novum. Anders als Kultureinrichtun­gen, die, wie zum Beispiel Theater, auf eine bestimmte Programmatik ausgerichtet sind, zeichnen sie sich durch fluide Strukturen aus. Der Sauerstoff von Stadtteilkulturzentren ist die persönliche Begegnung – die Ausgestaltung dieser ist vielfältig und immer ein Abenteuer. Die Strukturen und Angebote der Zentren zu durchdringen, hilft uns allen, eine Resilienz in Bezug auf die großen Herausforderungen unserer Zeit zu entwickeln.

Die Orte, an denen eine offene Gesellschaft Vielfalt erleben kann und die Bedingungen, unter denen wir unser Zusammenleben organisieren und verhandeln können, müssen wir schützen. Kultur ist viel mehr als ein Freizeitvergnügen. Orte der Kultur dienen nicht nur dem individuellen Abschalten, sondern auch der Wissensgenerierung und dem gesellschaftlichen ­Dialog. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass wir gemeinsam dafür streiten müssen, die Bedeutung von Kunst und Kultur für unsere demokratische Gesellschaft politisch zu festigen. Auch Kunst ist grundgesetzlich geschützt. Wie sichern wir aber auch dann die Sichtbarkeit der Kultur, wenn Einrichtungen geschlossen oder nur eingeschränkt ­zugänglich sind? Wie gelingt das Zusammenbringen von ­Menschen, wenn man nicht mit vielen zusammen an einem Ort sein darf? Wie gelingt Nähe auf Abstand? Das sind dialektisch anmutende Fragen, die wir uns in den letzten Monaten gestellt haben und die der diesjährige Ratschlag Stadtteilkultur zur Diskussion stellt.

Wie sichern wir aber auch dann die Sichtbarkeit der Kultur, wenn Einrichtungen geschlossen oder nur eingeschränkt ­zugänglich sind? Wie gelingt das Zusammenbringen von ­Menschen, wenn man nicht mit vielen zusammen an einem Ort sein darf? Wie gelingt Nähe auf Abstand?

Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien

(Digitale) Technik ist hier ein wichtiges Hilfsmittel. Die Schlüsselfrage ist, wie sie gezielt eingesetzt werden kann, damit Stadtteilkulturzentren weiter in die Stadtgesellschaft hinein wirken können. Die Grundvoraussetzung dafür ist das Experimentieren und das Entwickeln neuer Angebote – und das haben Stadteilkulturzentren in den vergangenen Monaten mit findiger Finesse getan. Dieses neue Selbstverständnis im Umgang mit Technik und Programmen wird sicher bleiben und nicht nur als notwendiges Corona-Coping erinnert werden.

Bleiben werden damit aber auch wichtige Auseinander­­setzungen:

  • Wir müssen berücksichtigen, dass Infrastrukturen jetzt zwar in den Zentren installiert sind, aber noch mitnichten bei allen Adressatinnen und Adressaten im Stadtteil.
  • Wir müssen berücksichtigen, dass nicht jedem digitale ­Angebote zusagen. Es gibt nicht wenige, die die derzeitigen Einschränkungen als Dornröschenschlaf abtun und erst ­wieder mitmachen, wenn alles wieder „normal“ ist.
  • Wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen, wie es gelingen kann, digitale und analoge Interaktionen zu verschränken.
  • Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie es gelingen kann, neue Zielgruppen von zuhause aus zu erreichen und wie es gelingen kann, diese dann in Stadtteilkultur­zentren zu begrüßen.

Indem wir den Blick in die private Wohnung für andere über digitale Kanäle ermöglichen, öffnen wir das Private. […] Dies kann nun Chance und Risiko zugleich sein.

  • Wir müssen uns mit dem Verhältnis von privatem und öffentlichem Raum auseinandersetzen. Indem wir den Blick in die private Wohnung für andere über digitale Kanäle ­ermöglichen, öffnen wir das Private. Damit überträgt sich der Wesenszug der Stadtteilkulturzentren – nämlich öffentliche Räume zu sein – auf den privaten Raum. Dies kann nun ­Chance und Risiko zugleich sein – beides ist nachvollziehbar und muss verhandelt werden.
  • Wir müssen uns mit sinnvollen digitalen Erlösmodellen ­auseinandersetzen. Im Shutdown Mitte März wurden viele kostenfreie Angebote im Internet zur Verfügung gestellt, weil es den Einrichtungen darum ging, eine Funkstille zu vermeiden. Wir wissen jedoch aus anderen Branchen, wie dem Musikvertrieb oder dem Journalismus, dass, ist ein kostenfreier Zugang erst einmal etabliert, er nur schwer in neuerliche Refinanzierungsmodelle umzukehren ist.

Nach der Pandemie wird es darum gehen, abzuwägen, welche digitalen Kulturtechniken Antworten auf bestimmte Fragestellungen geben und welche wir wie weiterentwickeln können.

Vor der Coronapandemie waren digitale Optionen eine Art Add-on. Mit der Pandemie waren wir dann nur noch „ON“. Nach der Pandemie wird es darum gehen, abzuwägen, welche digitalen Kulturtechniken Antworten auf bestimmte Fragestellungen geben und welche wir wie weiterentwickeln können. Es wird dann nicht darauf ankommen, welche für die Lösung eines gesamtgesellschaftlichen Verlustgefühls gerade sinnvoll sind. Wichtig ist dann, die Offenheit für neue Technologien zu bewahren und nicht ideologisch zu diskutieren. Der Gradmesser sollte immer die Funktionalität eines Mediums sein.

Wir alle haben in den vergangenen Monaten gelernt, ­welchen Mehrwert digitale Technik bietet, aber wir haben auch gesehen, dass die digitalen Möglichkeiten – wie auch die analogen – begrenzt sind und manche Bedürfnisse eben auch nicht erfüllt werden können.

So scheint die digitale Begegnung im Vergleich zur Vor-Ort-Begegnung doch sehr komprimiert. Und auch dieses Bewusstsein wird uns dann hoffentlich die Diskussion darüber erleichtern, welche soziale Kraft diese Orte haben, und warum es so wichtig ist, sie jetzt zu unterstützen.

Das Engagement der Stadtteilkulturzentren ist für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft auch mit Blick auf diese Fragen unverzichtbar. 

Dr. Carsten Brosda
Dr. Carsten Brosda

ist seit 2017 Senator für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg und gern gesehener Keynote-Speaker auf dem Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur.

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