Offenheit als Stärke und Solidarität als Strategie gegen Übergriffe

Der 20. Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur stand ausgerechnet in dem Jahr, in dem wir 100 Jahre Demokratie feiern können, unter Vorzeichen, die sich viele von uns noch vor 10 Jahren so nicht hätten vorstellen können. Vor Kurzem noch hätte die Frage nach dem Bestand der Demokratie und insbesondere die Frage, wie wir diese angesichts vermehrter und oft gezielter Grenzüberschreitungen schützen können, eher akademisch geklungen. Wir haben uns in einer trügerischen Sicherheit gewiegt.

Autorin: Corinne Eichner

Corinne Eichner von STADTKULTUR HAMBURG eröffnete den 20. Ratschlag, Foto: Miguel Ferraz

In den letzten Jahren mussten wir schmerzhaft erleben, wie die Feinde der offenen Gesellschaft und die Antidemokraten immer stärker wurden. Die Menschenfeinde und ihr Hass werden lauter und der Druck und die Angriffe auf die Kultur haben immer weiter zugenommen. Der Attentäter von Halle hat, so berichtete es der Spiegel, nur deshalb die Synagoge angegriffen, weil diese schlicht das nähere Ziel war – näher als Moschee und Kulturzentrum, die sich ebenfalls auf seiner Liste befanden.

Wie soll sich die Stadtteilkultur verhalten gegenüber Personen und Organisationen, die ihre Offenheit nutzen wollen, um die offene Gesellschaft zu attackieren und ihre Spaltung voranzutreiben? Wo sind unsere Grenzen der Toleranz? Wie reagieren wir, wenn unsere Grenzen der Toleranz überschritten werden? Wie erkennen wir Extremismus? Wie wehren wir uns gegen extremistische Übergriffe? Über welche Handlungsoptio­nen verfügen wir? Und welche Unterstützung braucht die Stadtteilkultur, um ihre Aufgabe des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch Kultur zu erfüllen und sich gegen Extremisten und Populisten zu behaupten? Das waren die Fragen, mit denen sich der Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur im Stadtteilkulturzentrum Eidelstedter Bürgerhaus auseinandergesetzt hat.

Die meisten, schwerwiegendsten und umfassendsten Übergriffe gehen wohl von Rechts aus, doch Menschenfeindlichkeit ist durchaus kein Alleinstellungsmerkmal deutscher Rechts­extremist*innen. Ideologien der Ungleichwertigkeit haben sich bereits weit in der sogenannten Mitte unserer Gesellschaft verankert und gleichzeitig ausdifferenziert.
Soziokulturelle Einrichtungen und Initiativen haben den Auftrag und das Ziel, Kultur für alle zu ermöglichen und Freiräume zu schaffen für kulturelle Teilhabe, gesellschaftliche Mitgestaltung, kulturelle Bildung und Vernetzung. Kultur mit gesellschaftlicher Verantwortung zu verbinden, ist in die DNA der Soziokultur und damit auch der Hamburger Stadtteilkultur eingeschrieben.

Doch die Werte, für die die Stadtteilkultur steht – Teilhabe, Vielfalt, Toleranz, Offenheit, gesellschaftlicher Zusammenhalt und Bildung – müssen immer wieder neu erkämpft werden. Der Boden, den die Stadtteilkultur erarbeitet hat, muss mehr als jemals zuvor verteidigt werden.

Die Offenheit der Stadtteilkultur erlaubt es dabei nicht, sich in eine Festung zurückzuziehen. Niedrigschwellige Zugänge sind gewollt. Das macht die Stadtteilkultur gleichzeitig angreifbar, aber es ist doch ihre Stärke. Denn der Aushandelungsprozess darüber, wie der Zusammenhalt in einer heterogeneren Gesellschaft auch in Zeiten zunehmender Fliehkräfte gelingen kann, muss alle einbeziehen. Er muss vor Ort stattfinden.

Die Einrichtungen der Stadtteilkultur sind die Orte, an denen diese Prozesse offene Räume finden. Die Stadtteilkultur verfügt über jede Menge Formate, die Antworten anbieten auf die Fragen, die aus dem Auseinanderdriften der Gesellschaft entstehen.

Gleichzeitig wird auch der Missbrauch der Offenheit stadtteilkultureller Einrichtungen durch Kräfte, die geschlossene Gesellschaftsbilder reproduzieren und die Spaltung betreiben, schwerwiegender und die Versuche werden schwieriger zu identifizieren. Manche Formate werden gar pervertiert – rechter HipHop mag dabei als ein Beispiel für viele stehen.

Wie kann eine klare Haltung zu solchen Strategien aussehen? Wie reagieren wir auf Grenzüberschreitungen? Schließlich müssen wir davon ausgehen, dass die Menschenfeinde eine klare Haltung haben. Sie sind gut organisiert und sie verfügen über sehr ausdifferenzierte Strategien. Sie sind international vernetzt und überschreiten Grenzen – sowohl die von Staaten, als auch die gesellschaftlicher Normen und Tabus – bewusst und wahrscheinlich mit Befriedigung.

Eine Strategie, sich gegen die Angriffe zur Wehr zu setzen, ist Solidarität und Zusammenhalt. Diese Strategie steht auch hinter dem Bündnis DIE VIELEN, das sich zunächst in Berlin gründete und dessen Erklärung in Hamburg sehr schnell ­adaptiert und unter den Kultureinrichtungen und Akteuren verbreitet wurde.

Die Vernetzung der Kultureinrichtungen ist aber auch eine Riesenchance, die sich auch in anderer Hinsicht sehr positiv auswirken kann. Wenn der Druck auf DIE VIELEN dazu führt, dass sich die Kultur im Sinne einer demokratischen Kultur für alle über möglichst sämtliche Sparten stärker vernetzt und ins Gespräch eintritt, wenn es gelingt, daraus zu einer dauerhaft intensivierten Zusammenarbeit zu kommen, dann ist es ­gelungen, eine Bedrohung in eine Stärkung umzuwandeln.

Und das wäre vielleicht das, was die Populisten und Extremisten am Meisten ärgert.

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