Das Theater des Anthropozän

Das Anthropozän beschreibt das aktuelle Zeitalter der Erd­geschichte, das vom Wirken des modernen Menschen geprägt ist. Der Dramaturg und Publizist Dr. Frank Raddatz und die Meeres- und Polarforscherin Prof. Dr. Antje Boetius haben das Theater des Anthropozän im November 2019 gegründet. Der Mitbegründer stellte das Theater auf dem Ratschlag 2023 vor.

Autor: Dr. Frank M. Raddatz

Zweck dieser Bühne ist es, künstlerisch-theatrali­sche Projekte an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft im Kontext der ökologischen Diskurse des Anthropozäns zu entwickeln. Seither fanden in Zusammenarbeit mit Stiftungen und Wissenschafts­institutio­nen an ganz unterschiedlichen Orten – vornehmlich in Deutschland – Aufführungen, Symposien und Panels statt, um Klimaaktivist*innen, Wissen­schaftler*innen, Philosoph*innen und Künstler*innen zu vernetzen.

Anthropozän und Wissenschaft sind untrennbar. Das gesamte Vokabular der Ökologie wie Erderwärmung, Abschmelzen der Pole, Versauerung der Ozeane, gravierende Verluste von Biodiversität usw. beruht auf Erhebungen der Erdsystemwissenschaften, atmosphärischen Messungen, Computersimulationen, Satellitenaufzeichnungen und aufwendigen Bohrungen an den Eispolen. Das Anthropozän – diese Bezeichnung stammt übrigens vom Nobelpreisträger für Chemie Paul Crutzen – ist eine gut begründete wissenschaftliche Konstruk­tion. Dieser Ausdruck steht dafür, dass der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist.

Der Wissenschaftshistoriker Bruno Latour begreift den Erdplaneten als etwas Lebendiges, das er altgriechisch GAIA nennt. Gaia ist nicht von einer Reihe toter Dinge bedeckt, sondern von höchst lebendigen Wirkmächten, die miteinander in Verbindung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Dieses Netz des Lebens oder der Vernetzung der Critical Zones lässt sich ohne Wissenschaft weder erkennen noch verstehen. Daher hat die anthropozäne Bühne die Dinge in der Natur als etwas Lebendiges zu zeigen, die mit der Welt in Wechselwirkungen stehen.

Kein Baum existiert wie eine Monade nur auf sich bezogen. Er steht in intensivem Austausch mit weiteren Bäumen, aber auch allen Lebensformen und Sphären, mit denen seine Spezies in Kontakt steht. Vor diesem Horizont entwickelt das Theater des Anthropozän unterschiedliche spielerische Formen mit Schauspieler*innen und Puppen, mit Musiker*innen und Tänzer*innen. 

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