Generationenwechsel in der Soziokultur

Die Soziokultur kommt nach ihrem 40- bis 50-jährigen Bestehen zu ihrem ersten Generationenwechsel: als Kulturform wie auch ganz persönlich mit den Menschen, die sich nach und nach verabschieden und denen, die neu kommen. Ingrid Wagemann ist seit 2001 Regionalberaterin des Landesverbandes Soziokultur Niedersachsen und hat auch im Rahmen des Förderprogramms „sozioK_change“ der Stiftung Niedersachsen viele Generationswechsel begleitet. Im stadtkultur magazin erzählt sie, was sie bei einem Wechsel in der Geschäftsführung empfehlen kann.

Autorin: Ingrid Wagemann

Viele soziale und kulturelle Initiativen entstanden vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklungen in den 1970er und 1980er Jahren. Die Entstehung der ersten Kulturorte in Fabrik­gebäuden, Lagerhallen, Mühlen, Molkereien, Scheunen und allen nur möglichen Leerständen lag in dieser Zeit. So unterschiedlich sie auch waren, diese neuen Kulturorte mussten erstritten werden und wurden bekämpft oder zumindest kritisch beäugt, denn sie unterschieden sich in Inhalt und Form, in Haltung und Zielen deutlich von den bis dahin üblichen Kulturformen. Kulturorte sind durch Initiativen entstanden, die zu ­Vereinen wurden. Die, die jetzt gehen, gehören zu großen Teilen zu dieser Gründer*innengeneration.

Der Generationenwechsel

Heute ist es im Zusammenhang mit einem Generationenwechsel in der ­Leitung hilfreich, wenn sich die Betei­ligten über ihre Rollen und Wirkungsweisen im Klaren sind und miteinander darüber sprechen können. Spätestens jetzt werden Strukturen und Mechanismen im soziokulturellen Zentrum sichtbar, weil aufmerksame und mutige ­Neueinsteiger* innen sie hinterfragen. Im Generationenwechsel versuchen wir einen guten Übergang in der Verbindung von Bestehendem und Neuem. Gegen­seitige Wertschätzung, Vertrauen und Loslassen-Können sind wichtige Voraussetzungen für gelingende Veränderung und ein Kraftakt für die Beteiligten. Das „Nicht-loslassen-Können“ stellt aus meiner Sicht eine große Gefahr für die notwendige Weiterentwicklung eines ­Zentrums dar.

Die klare Trennung, mit Abschied und Neubeginn, kommt mir als Außenstehende oft als die beste Lösung vor. In der Praxis ist das jedoch nicht immer eine Option. Als Ehrenamtler*in im ­Vorstand gibt es erstmal keinen zwingenden Grund, sich zu verabschieden. Auch hauptamtliche Geschäftsführe­r*innen, die in den Ruhestand gehen, trennen sich nicht immer leicht von ­„ihrer“ Einrichtung. Für sie war die ­Arbeit in einem soziokulturellen Zentrum viel mehr als ein Arbeitsplatz, es gibt eine starke Identifikation mit dem Haus, welches sie teils über Jahrzehnte aufgebaut und gestaltet haben.

Eine Neue Geschäftsführung – es verändert sich etwas im System

Als Neue*r in einem bestehenden Zentrum sehen sich die jungen Geschäftsführungen gewachsenen Strukturen ­gegen­über. Im Vorstand und Team eines soziokulturellen Zentrums ist die Haltung mit Blick auf eine neue Geschäftsführung in der Regel erstmal positiv und unterstützend. Schließlich wurde sich für diese Person für die beschriebene Aufgabe entschieden. Im Alltag wird sich zeigen, wie das Neue mit den vorhandenen Strukturen und Arbeitsweisen zusammen passt, wenn der oder die Neue ungewohnte Arbeits- und Kommunikationsformen mitbringt, Ideen für neue Inhalte hat, neue Zielgruppen erreichen will. Die jungen Geschäftsführer*innen sind nicht angetreten, um genauso zu sein wie ihr*e Vorgänger*in. Das würde ihnen auch nie gelingen. Sie kommen mit einer eigenen Persönlichkeit, einer eigenen Haltung und eigenen Vorstellungen davon, wie sie arbeiten wollen.

Jede neue Geschäftsführung macht Erfahrungen mit Vorbehalten und Wider­ständen. Jede Veränderung kann eine Verunsicherung darstellen und ­Widerspruch hervorrufen. Es gibt ein­geübte Kommunikations- und Entscheidungswege, gewachsene Formen der ­Zusammenarbeit auch ohne Arbeitsplatzbeschreibungen.

Wie ist der Umgang mit Konflikten in einem Zentrum? Wie ist die Zusammenarbeit in den Teams oder Gruppen, zwischen Vorstand, Geschäftsführung und Team, wie ist die Zusammenarbeit zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen? Gibt es alte Konflikte, die weiterwirken? Das alles erfährt man nicht durch reines Nachfragen oder durch eine entsprechende Recherche, vieles wird erlebt und ist spürbar in ­konkreten gemeinsamen Situationen. Hintergründe sind auch nicht immer bewusst oder konkret zu benennen.

Wer also mit viel Energie und Be­geiste­rung antritt und eigene Ideen umsetzen will, kann bei zu hohem Tempo sehr schnell auflaufen. Alle Mitarbei­ter*innen müssen mitgenommen werden und das erfordert oft mehr Zeit, als man denkt. Sich selbst zu bremsen, möglichst ohne dabei blockiert zu sein, wäre sinnvoll. Dazu muss eine neue Geschäftsführung sehr viel Geduld aufbringen. Sich diese Zeit zu nehmen und die Akteur*innen in den jeweiligen Arbeitsfeldern kennenzulernen, wäre eine wichtige ­Vereinbarung für die ersten Monate.

Das Mobilé

Stellen wir uns unsere Einrichtung wie ein System vor, in dem die einzelnen Elemente alle in einer bestimmten Art und Weise miteinander verbunden sind – vielleicht wie ein Mobilé, was sich insgesamt im Gleichgewicht hält. Jedes Mal, wenn sich etwas verändert, muss sich das System neu justieren mit dem Ziel, wieder ein Gleichgewicht herzustellen – mit Auswirkungen auf alle Elemente.

Eine neue Geschäftsführung stellt vom ersten Tag an eine gravierende ­Veränderung in diesem Gesamtsystem dar. Jemand geht raus, an den man über Jahre gewöhnt ist und von dem man weiß, wie mit ihm*ihr umzugehen ist. Jemand kommt rein und alle müssen sich bewegen, damit das System wieder ein Gleichgewicht findet. Nicht nur im Hinblick auf die neue Person, sondern auch untereinander verändern sich die Verhältnisse.

Tipp 1: Zeit

Generationenwechsel brauchen Zeit, ­davon gibt es im soziokulturellen Alltag erstmal keine Minute, die übrig ist. Trotzdem werden die Themen sich ­irgendwann Raum nehmen. Konflikte im Generationenwechsel kosten alle ­Beteiligte viel Kraft und Energie. Der Abschied von einer scheidenden Geschäftsführung und der Neubeginn mit einer neuen Leitung ist eine Zeit, in der viel Energie innerhalb des Systems gebraucht wird – nicht die beste Zeit für neue Aktivitäten und besondere Projekte nach außen. Wenn diese Zeit gut gelingt, das interne System wieder gut ausge­richtet ist, ist es leichter, gemeinsam mit Energie und Kraft wieder nach außen zu gehen.

Tipp 2: Reflexion und Begleitung

Zusätzlich zu der Beratung der Geschäftsführungen wäre eine Begleitung des Teams oder auch mit wichtigen Akteur*innen im Vorstand eine gute und wichtige Ergänzung.

Tipp 3: Gelassenheit

Wesentlich sind Vertrauen in die Arbeit der Kolleg*innen und „Loslassen-­Können“ als Grundlagen für gelingende Veränderungen.

Dieser Artikel erschien in der Dokumentation des Programms ­„Soziokultur im Change!“. Im stadtkultur magazin wurde der Artikel gekürzt veröffentlicht. Hier geht es zur ungekürzten Version als PDF.

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