Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien, eröffnete den Ratschlag 2025 mit einem Grußwort, in dem er sich inhaltlich mit dem Titel des Ratschlags auseinandersetzte. Ausschnitte seiner Rede haben wir für die Dokumentation transkribiert.
Autor: Dr. Carsten Brosda

Der Dreiklang des diesjährigen Ratschlags Stadtteilkultur WERTE, WIRKUNG, WANDEL. trifft den Kern der aktuellen Probleme: Darauf zu beharren, in der sonst sehr praxisorientierten Soziokultur mit den zugrunde liegenden Werten zu beginnen und nicht mit der Empirie, ist bemerkenswert. Als Kultursenator weise ich jedes Jahr dringlicher auf das Gleiche hin. Und während es mit der Bearbeitung bestimmter Themen einfach nicht vorangeht, verschiebt sich der gesellschaftliche Fokus zusehends auf die Ratlosigkeit angesichts all der Probleme.
Im Zuge des Projekts „Use the News“ zur Medienkompetenzförderung befragte das Marktforschungsinstitut Rheingold-Salon Mitte 2025 Menschen, wie sie in die Zukunft blicken. Rund drei Viertel der Befragten glaubten nicht an eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung zum Besseren, sehr wohl aber an die Möglichkeit einer positiven Entwicklung im Privaten. Was es heißt, wenn die positive Perspektive im Privaten nicht zur Bewertung der gesellschaftlichen Lage vordringt, können wir beobachten, wenn man sich mit Beschreibungen des Desasters überbietet und damit politische Karrieren begründet – und als romantischer Spinner oder Naivling gilt, wer sich optimistisch zeigt.

WERTE zu benennen, heißt, eine Vorstellung von Zukunft zu benennen, und zu umreißen, was es braucht, um diese zu realisieren. Momentan werden unsere Werte, wird die Art und Weise, wie wir miteinander leben wollen, massiv angegriffen. Die Angreifer*innen auf unsere Werte behaupten zwar für und nicht gegen die Demokratie zu sein. Doch verstehen sie sie als eine Art Mehrheitsplebiszit, lassen Minderheitenschutz gar nicht erst gelten und die Freiheit im Diskurs zu einem „Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen!“ verkommen.
Die Zukunft der Demokratie zu sichern, heißt, für geteilte Werte zu kämpfen: Es gibt keinen Rechtsanspruch darauf, sich respektlos gegenüber anderen zu verhalten. Wahre Freiheit basiert auf einem anständigen Miteinander, einer Gesellschaft, in der alle frei leben können. Das verdeutlicht sich auch am Wert der Solidarität, die heute in einer Gesellschaft der Vielfalt gelebt werden muss, mit einem Bewusstsein für das soziale Geflecht, das uns bei aller Unterschiedlichkeit verbindet. Diese gelebte Solidarität findet sich in vielen Projekten der Stadtteilkulturzentren wieder, in deren Räumen sich die Stadtgesellschaft begegnet und ein Bewusstsein für die Stärke der Vielfalt entsteht. Aus unserer Verschiedenheit heraus können wir als Gemeinschaft flexibler, wendiger und resilienter werden.
Stadtteilkulturzentren liefern eine herausragende Infrastruktur dafür, die gemeinsamen Werte neu zu diskutieren und weiterzuentwickeln – Orte, an denen Austausch und Debatte, Impulse und Inspiration zur diskursiven Bearbeitung von Wertefragen möglich sind.

Wenn es um die WIRKUNG geht, fragt die Bürgerschaft oft nach den Kennzahlen, und es geht ums Geld. Doch anders als etwa in der Bildungspolitik lässt sich die Wirkung der Beschäftigung mit Kultur nur schwer messen.
Was die Wirkung von Kultur erst interessant macht, ist ja gerade die Erkenntnis, dass es alles auch ganz anders kommen kann als zunächst geplant. Schon letztes Jahr haben wir darüber gesprochen, wie sehr unsere Zukunft davon abhängt, was wir uns in der Gegenwart vorstellen können. Die Künste und die soziokulturelle Arbeit zeigen uns,
wie sich Veränderung bewirken lässt.
In der Begegnung unterschiedlicher Menschen kann neue Energie entstehen, kann die verwegene Idee und die wichtige Erkenntnis erwachsen, dass wir es zukünftig besser machen können. Niemand möchte in einer Gesellschaft leben, in der alles immer schlechter wird. Wenn wir nicht nur zugucken, sondern selbst aktiv werden, es gemeinsam angehen, kann es schon morgen besser werden. Dafür brauchen wir soziale Strukturen, die Menschen zur Teilhabe auffordern und befähigen.
Wirkung lässt sich nicht durch das Abhaken empirisch zählbarer Entitäten erzielen. Es ist kein Erfolg, auszurechnen, wie viel Geld für ein Projekt ausgegeben wurde und dann zu sagen: „Ich habe meinen Teil getan!“ Am Ende geht es darum, ob wir in und bei den Menschen etwas auslösen.

Gegenüber dem vermeintlich bedrohlichen WANDEL nehmen wir als Gesellschaft allzu gern eine Abwehrhaltung ein, deuten Veränderung negativ. Nichts zu verändern, würde jedoch voraussetzen, mit den Gegebenheiten zufrieden zu sein. Doch das scheint nicht der Fall zu sein. Weshalb gehen wir davon aus, dass Wandel immer zum Schlechteren und nicht zum Besseren ist? Können wir Veränderung als Chance begreifen? Wenn wir als Gesellschaft in dem Glauben verharren, nichts verändern zu müssen und dabei konstant von äußeren Einflüssen verändert werden, wächst das Gefühl der Ohnmacht. Nichts ist stetiger als der Wandel.
Wir brauchen Orte, Programme und Möglichkeiten, um Wandel bewusst zu ermöglichen, brauchen in unserer Stadtgesellschaft offene Räume, in denen die kulturelle Arbeit mit und durch Bürger*innen möglich ist, in denen Werte diskutiert werden und Wirkung möglich ist. Sie sind existenziell für unsere demokratische Stadtgesellschaft.
