„Miteinander-Füreinander“ in der Honigfabrik

„Na, da haben sie ja was angerichtet.“ Eine Mutter öffnet die Klassentür, um ihr Kind von der Lesestunde abzuholen. „Jetzt muss ich auch zuhause vorlesen!“ Die Damen und Herren von der Seniorengruppe „Miteinander-Füreinander“ aus der HONIGFABRIK richten seit über 15 Jahren so einiges an.

Autorin: Margret Markert

Begonnen hatte es 1995 mit der Idee, mal nicht nur Frauen, sondern Männer für Aktivitäten im Alter anzuregen. Und außerdem statt der bildungsorientierten Mittelschicht auch mal Menschen aus handwerklichen Berufen anzusprechen. Die Gruppe begann, kleine handwerkliche Hilfestellungen im Haushalt anzubieten für ältere Menschen, die sich eine Firma für solche Dienstleistungen nicht leisten können. Da wurden Gardinen aufgehängt, Lampen repariert, Gärten in Ordnung gebracht. Nützliche Unterstützung war das, doch viel wichtiger in der Rückschau waren die vielen Gespräche, die an den Küchentischen stattfanden und den Menschen wieder ein bisschen mehr Kontakt mit der Außenwelt ermöglichten.

Das „Füreinander“ war von Anfang an wichtig, aber genauso intensiv kümmerte sich die Gruppe um ihre eigenen Wünsche: Wie wohnen im Alter? Wie aktiv bleiben, ohne sich selbst zu überfordern und die eigene Familie und Enkelkinder zu vernachlässigen? Und was wirklich nur für sich selbst tun? Aus diesen Fragen entstanden die Reiseaktivitäten, erst nach Amsterdam und Berlin, und dann Besuche in Städten der neuen Bundesländer – in alphabetischer Reihenfolge. Besonders mit Dresden entwickelte sich ein intensiver Austausch, Lebensgeschichten wurden erzählt, über Ost- und West-Politik gesprochen, man besucht sich seit Jahren gegenseitig, ein ausgesprochen anregendes „Miteinander“.

Zurück zum „Füreinander“: Die Handwerker der Gruppe veranstalteten in Zusammenarbeit mit der Schule Fährstraße und der Verkehrspolizei Fahrrad-Reparaturtage und begleiteten die Kids bis zur Fahrradprüfung. Die sind dann „stolz wie Oskar“, wenn der bürgernahe Beamte ihnen die Verkehrstauglichkeits- Plakette auf das Schutzblech klebt.

Seit fast 10 Jahren bestehen nun die Kontakte zu Schulen und Kindertagesheimen: Die „Leseomas und -opas“ kommen regelmäßig zum Vorlesen. Kindertagesstättenleiter und Lehrerinnen schätzen den Besuch der Senioren sehr, gibt es doch im familiären Umfeld der Kinder immer weniger Omas und Opas. Ein anderer wichtiger Aspekt ist natürlich die Sprachförderung der vielen Wilhelmsburger Kinder, die zuhause wenig Unterstützung erfahren, ganz gleich ob sie aus Familien mit oder ohne Migrationshintergrund kommen. Natürlich fällt den Senioren die abnehmende Konzentrationsfähigkeit auf, und sie entwickeln ihre eigene Methodik dagegen: Lesen mit verteilten Rollen, Pausen, Nachfragen „Was hast du gehört?“.

Es gab einmal eine Situation, wo ein Zappelkind auf den Schoß einer Seniorin „strafversetzt“ wurde und sehr ruhig da sitzen blieb. „Du musst hier nicht die ganze Zeit sitzen bleiben bei mir!“. „Ich will aber hier sitzen bleiben!“ Eine andere Szene: Die Lehrerin kommt in die Gruppe, in der Henry vorliest. Mindestens fuünf Kinder stehen und sitzen dicht gedrängt um ihn herum, eines streichelt ihm gedankenverloren den Rücken. Solche Beispiele zeigen, dass es viel mehr solcher Großeltern-Patenschaften geben müsste, denn ein Kulturgut verschwindet, wenn man nicht mehr liest, so der ehemalige Leiter einer KITA. Und was sind die Motive der Senioren? „Ich will Kinder neugierig machen auf Sprache, Kampf gegen Trash-Fernsehen, RTL2 und so, das ist mein Ding!“ sagt Herma. Helga: „Kinder bringen einen dazu, den Blickwinkel zu ändern, Dinge mal ganz anders zu sehen“, und Irmentraud: „Die Kinder nehmen uns als Personen an. Wenn ich sie auf der Straße treffe, begrüßen mich die Kinder, Frau Giese, das bist ja du!“

Eine Zeitlang fühlte sich die Gruppe aber auch mit den vielen Verpflichtungen, die sie angenommen hatte, überfordert. Dazu kam, dass die Bildungsbehörde den Zuschuss für die fachliche Betreuung 2007 strich. Eva Düchting, von Beginn an engagierte Leiterin und Moderatorin der Seniorengruppe, musste gehen. So fragten sich die Senioren: Ehrenamt oder Irrenamt? Und das in Zeiten, wo allerorten von den Problemen der alternden Gesellschaft und den fehlenden Bindungen zwischen den Generationen die Rede ist. Die Gruppe wünscht sich die Rücknahme dieser Streichung. Denn, so betont Otto, Gründungsmitglied von „Miteinander-Füreinander“, „wir Inselbewohner haben eine gewisse Energie, uns selbst und anderen zu helfen. Wir waren alle in Vereinen und Gewerkschaften aktiv, wir sind das gewohnt. Die Insel sollte mehr zusammenrücken, Integration, Völkerverständigung werden immer wichtiger. Aber dabei brauchen wir Unterstützung!“

Das ist das eine. Das andere ist die Nachwuchsfrage. „Miteinander-Füreinander“ wünscht sich noch ein paar lebendige Mitsechziger. Auf das Leben nach der Arbeit ist niemand wirklich vorbereitet, Blumenstrauß zum Abschied, und das war es. Was dann kommen könnte, kann man bei der Gruppe lernen – immer dienstags ab 10:30 Uhr in der Honigfabrik, alle 14 Tage.

Kontakt:
Honigfabrik, Irmentraud Giese, Industriestr. 125–131, 21107 Hamburg, 040/752 24 72, , www.honigfabrik.de

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