Zwischen den Kulturen – gibt es nicht!

In der politischen und gesellschaftlichen Debatte über Kultur ist längst ein Paradigmenwechsel fällig. Die kulturelle Vielfalt ist als eine Herausforderung zu sehen, der sich jede/r stellen muss, anstatt sie als ein beherrschendes Problem zu betrachten und zu behandeln. Naciye Demirbilek aus der W3 über Interkulturalität.

Autorin: Naciye Demirbilek

Interkulturalität ist in der internationalisierten und globalen Welt ein Normalzustand. Der konstruktive Umgang mit Kulturvielfalt ermöglicht auch die Bereitschaft von Individuen, sich gesellschaftlich zu engagieren, zu kooperieren und eigenes Verhalten zukunftsgerichtet und verantwortungsvoll zu verändern. Die Kulturinstitutionen müssen ihre Angebote regelmäßig auf den Prüfstand stellen.

Jeder Versuch Kultur zu definieren scheitert. Möglich ist hingegen, sie zu beschreiben und zu umschreiben. Je nachdem in welchem Zusammenhang und Kontext wir Kultur betrachten, hat sie unterschiedliche Inhalte. Kultur ist ein dynamischer Prozess, der von vielen individuellen, politischen, gesellschaftlichen, sozialen und auch von wirtschaftlichen Faktoren abhängig ist. Daher ist es wichtig, auf Kontext und Rahmenbedingungen zu schauen, in denen Kultur stattfindet und darauf zu achten, von wem sie ausgeht und wer sie realisiert. Die Frage, wie viele Kulturen es gibt, ob es ein „Zwischen den Kulturen“ gibt oder nicht, ob die Integration durch Kultur besser funktioniert oder nicht, stellt sich in einer multikulturellen/multiethnischen Gesellschaft gar nicht.

Es geht viel mehr darum, wo sie stattfinden soll, wie sie gelebt und realisiert werden kann, darf und soll. Welche Gestaltungsmöglichkeiten und offene Räume braucht sie, was gibt es – z.B. an Strukturen, Maßnahmen, Förderungen – und was müsste vernetzt und koordiniert werden. Nach Leggewie ist die multikulturelle Gesellschaft einfach da. Es kommt darauf an, wie wir sie gestalten: „als Schlachtfeld oder als halbwegs erträgliche Lebensform“1. Kulturelle Vielfalt in einer (Welt)Gesellschaft ist eine Realität, eine Herausforderung, der man sich stellen muss.

Kulturelle Vielfalt und Interkulturalität

Kulturelle Vielfalt ist Ausdruck einer reichen und vielseitigen Welt. Gleichzeitig zeichnet sie die Bereicherung der menschlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Werte aus. Sie „bezieht sich auf die mannigfaltige Weise, in der die Kulturen von Gruppen und Gesellschaften zum Ausdruck kommen“2. Damit ist die kulturelle Vielfalt auch Antriebskraft nachhaltiger Entwicklung. „Interkulturalität bezieht sich auf die Existenz verschiedener Kulturen und die gleichberechtigte Interaktion zwischen ihnen, sowie die Möglichkeit, durch den Dialog und die gegenseitige Achtung gemeinsame kulturelle Ausdrucksformen zu schaffen“3.

Interkulturalität kann sich auf verschiedenste Aspekte und globale, gesamtgesellschaftliche Veränderungen beziehen: Globalisierung, Entwicklung, Menschenrechte, Demokratie, Gesundheit, Ausgrenzung, Diskriminierung, Ethnizität, Identität, soziale und religiöse Zugehörigkeit etc. Das bedeutet folglich, dass globale Standards erforderlich sind und entstehen, die wiederum mehr regionale Varianten unumgänglich machen. Alle Beteiligten sind gefordert, entsprechend den Veränderungen und Wandlungen in der Gesellschaft und in den Kulturen ständig neue Konzepte zu entwickeln. Dies umso mehr, weil hierdurch die Auseinandersetzung mit Weltbildern und anderen Kulturen erleichtert und Kooperationen ermöglicht werden. In der Gesellschaft sowie bei jedem Einzelnen, entsteht Offenheit für neue, zukunftsfähige Lebensstile und für ein Leben mit entwicklungs- und umweltpolitischer Verantwortung für die Eine Welt.

Interkulturelle Kulturarbeit

Die interkulturelle Arbeit in den öffentlichen Kultureinrichtungen konzipiert (idealerweise) ihre Angebote vor dem Hintergrund der gegebenen Realitäten, bietet offene Gestaltungs- und Schaffungsmöglichkeiten an. Sie schöpft ihren Nutzen aus der Vielfalt und Diversität von Kulturen, macht sie erlebbar und greifbar. Daher sind die „Anbieter“ von Kunst und Kulturarbeit gefordert, die sich wandelnden gesellschaftlichen und individuellen Veränderungen und Haltungen im Blick zu behalten. Sie müssen die Bereitschaft und Kompetenz besitzen, auf diese zu reagieren, die eigene Haltung und Handlung ständig kritisch zu hinterfragen und neu auszurichten. Die Wahrnehmung und Interpretation des Gegenübers, der anderen Kulturangehörigen, entsteht nicht unabhängig von der eigenen Haltung, den eigenen Werten, guten oder weniger guten Erfahrungen sowie den eigenen Realitäten. Sie spiegeln sich in unserem Verhalten und unseren Haltungen im privaten wie im beruflichen Leben wieder.

Daher muss die Aufgabe von Kultureinrichtungen auch darin bestehen, sich im öffentlichen Bewusstsein für einen offenen und dynamischen Kulturbegriff einzusetzen. Sie sollten dafür sorgen, dass andere nicht durch festgelegte Begriffe und Definitionen, durch das Festhalten an eigenen Sichtweisen auf Kultur/Interkultur ausgegrenzt und unsichtbar gemacht werden, weil sie nicht der Kultur der Mehrheitsgesellschaft angehören. Die Institutionen dürfen nicht Gefahr laufen, die Interkulturalität mit einzelnen Eigenschaften – wie es beispielsweise oft mit Ethnizität getan wird – zu beschreiben. Denn auch Ethnizität ist nicht starr, sondern ständig im Fluss, hat viele Facetten, und es gibt zahlreiche Überschneidungen mit anderen (sozialen) Zugehörigkeiten.

Jede/r hat immer unterschiedliche Bezüge, sei es Geschlecht, die körperliche Verfassung, im Sinne von Behinderung und Nichtbehinderung, die sexuelle Orientierung und vieles mehr. Eine kulturell festgelegte Zuordnung führt dazu, dass festgefahrene Systeme fortgeschrieben werden. Genauso ist Identität einer ständigen Wandlung unterworfen. Durch sie bekommen kulturelle Bezüge nur in bestimmten Situationen Bedeutung und werden in anderen irrelevant. Es sollte jedem Einzelnen überlassen bleiben, ob und inwiefern er/sie sich einer Kultur zugehörig fühlt oder nicht. Bei allen Maßnahmen – seien es staatliche, kommunale, institutionelle – ist also auf das Prinzip der Selbstinterpretation zu achten – das heißt, dass einem weder eine Zugehörigkeit zugeschrieben werden, noch die selbstgewählte Zuordnung von anderen in Frage gestellt werden darf. Die unterschiedlichen Machtverhältnisse in der pluralen Gesellschaft und die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kontext veranlassen, dass die Kultur und die Angebote dazu unterschiedlich gewichtet werden. Durch eine systematische Generierung und Bindung des Publikums, ohne Unterschiede und Ausdifferenzierungen, ohne zu urteilen und zu werten, können die Kultureinrichtungen ihren Beitrag optimieren.

Interkulturelle Bildung und Kompetenzen und deren Förderung gehören zu den Grundbedingungen von Kulturinstitutionen, sind selbstverständliche Querschnittsaufgaben. Dadurch können alle Mitglieder in den bestehenden Strukturen sensibilisiert und der Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen kann so entgegengewirkt werden. Ein anderer entscheidender Aspekt ist, ob und inwieweit die inter- oder transkulturellen Erfahrungen eines wachsenden Anteils der Bevölkerung in den kulturellen Angeboten aufgegriffen werden. Gelingt es den Kulturanbietern durch überzeugende Angebote, Formate und neue Kommunikationswege die Distanz zu allen Nutzern zu überwinden? Sind sie in der Lage und bereit, ihre bestehenden Programme und (Personal-)Strukturen auf den Prüfstand zu stellen, mit der Dynamik der Gesellschaften Schritt zu halten? Interkulturelle Kulturarbeit muss koordiniert und gezielt erfolgen, unabhängig von Kampagnen, Festivals oder thematisch und zeitlich befristeten Projekten. Vielmehr brauchen die Institutionen neue Strategien in Bezug auf die Inhalte, Organisationsstrukturen und -prozesse, gezielt ausgearbeitete Formate für die Maßnahmen und offene Räume. Aufgrund der wachsenden Finanzierungslücken, Globalisierung, Digitalisierung, Migration und Interkulturalität geraten immer mehr Vereine und Institutionen unter Druck, was sich kontraproduktiv auf allen Ebenen niederschlägt. Institutionelle Gewohnheiten verfestigen sich, die Zielgruppe verliert an Aufmerksamkeit und vor allem fehlen Freiräume für innovative, impulsgebende und zukunftsgerichtete Gestaltungsideen. Aufgabe von Stadt, Kommune, Land und Bund wäre im Idealfall diesen Druck zu nehmen, damit die Kulturarbeit ihren Sinn erfüllen und weiter entwickeln kann. Die öffentliche Förderung von Kultur und Kunst ist kein Gefallen gegenüber der Bevölkerung, sondern eine Pflicht. Bei Subventionen ist die Kultur als übergreifendes System zu betrachten und der Staat muss alle erforderlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie in Bewegung bleibt.

1 Leggewie, Claus (1993): Multi Kulti. Spielregeln für die Vielvölkerrepublik. Rotbuch, Hamburg
2 Deutsche UNESCO-Kommission e.V. (Hrg., 2009): Kulturelle Vielfalt gestalten. Handlungsempfehlungen aus der Zivilgesellschaft zur Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens zur Vielfalt kulturelle Ausdrucksformen (2005) in und durch Deutschland – Weissbuch – S. 30
3 ebenda.

Kontakt: W3 – Werkstatt für internationale Kultur und Politik e.V. Nernstweg 32–34, 22765 Hamburg, 040/39 80 53 60, , www.werkstatt3.de

 

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