Was die Stadtteilkultur wirklich braucht: 1,37 Millionen mehr, neue Fördertöpfe und 10 Prozent in 10 Jahren

Die Stadtteilkultur hat einen hohen Wert für Hamburg. Die Erfolgsbilanz der Stadtteilkulturzentren zeigt eindrucksvoll, wie die Zentren auch unter schwierigsten Bedingungen durch den unermüdlichen Einsatz ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kulturelle Teilhabe vor Ort verwirklichen. Doch die Stadtteilkultur wird nur überleben und ihre wachsenden Aufgaben bewältigen können, wenn Hamburg sie mit ihren Problemen nicht im Regen stehen lässt und sich finanziell klar zur Bedeutung der Stadtteilkultur für unsere Stadt bekennt.

Autorin: Corinne Eichner

Stadtteilkultur ist so bunt und vielfältig wie die Stadt und ihre Bewohner – sie orientiert sich an den Bedarfen vor Ort, thematisiert, bespielt und inszeniert das Quartier und schafft Nachbarschaft. Stadtteilkultur bietet kulturelle Teilhabe für Menschen aller Altersgruppen, sozialer oder kultureller Hintergründe auch unter schwierigen Bedingungen. Stadtteilkultur schafft Freiräume und arbeitet an einer neuen Erinnerungskultur. Sie ermöglicht durch kulturelle Bildungsangebote eine gemeinsame und lebenslange Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur. Interkulturelle Öffnung ist für die Stadtteilkultur nicht nur ein Schlagwort, sondern eine Aufgabe, an der auf allen Ebenen gearbeitet wird und die so zum Modell für andere Bereiche der Gesellschaft wird. Die Beteiligung engagierter Menschen stärkt und bereichert die Kultur, den Stadtteil und die demokratische Gesellschaft. Stadtteilkultur ist aus bürgerschaftlichem Engagement entstanden und bis heute ein zentraler gesellschaftlicher Lernort, an dem sich Menschen freiwillig für das Gemeinwohl engagieren. Partner aus unterschiedlichsten Bereichen – z. B. Kultur, Soziales und Bildung – profitieren von Kooperationen, die die Stadtteilkultur initiiert. Stadtteilkultur stärkt regionale Netzwerke und realisiert Kooperationen weit darüber hinaus – stadtweit, deutschlandweit und international.

Mehrbedarfe für gute Arbeitsbedingungen vor Ort

Doch die Lage der Einrichtungen in den Stadtteilen wird angesichts steigender Kosten bei gleichbleibender Förderung immer dramatischer. STADTKULTUR HAMBURG wollte deshalb auch im letzten Jahr von den Stadtteilkulturzentren wissen: Was wird gebraucht, damit die Stadtteilkulturzentren im neuen Jahr ihre wichtigen Aufgaben so erledigen können, wie es vor Ort notwendig und mit Recht von ihnen gefordert wird? Welche Bedarfe haben die Einrichtungen wirklich, um Stellen zu erhalten, Tarifsteigerungen auszugleichen, Mindestlöhne zahlen zu können und weitere Kostensteigerungen aufzufangen, die z. B. auch durch gestiegene Mieten von städtischen Immobilien entstanden sind? Was brauchen sie, um dringend notwendige Instandhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen durchführen zu können, sicherheitsrelevante Investitionen zu tätigen und defekte Ausstattung zu ersetzen? Was ist nötig, um wichtige Projekte zu verstetigen und dort Personal einzustellen, wo es dringend gebraucht wird? Und was braucht die Stadtteilkultur außerhalb der Zentren – in den Einrichtungen, Initiativen und Projekten, die nicht an Stadtteilkulturzentren angedockt sind?

Die Befragung der aus Mitteln der Kulturbehörde geförderten Stadtteilkulturzentren ergab, dass allein für das Jahr 2015 im Bereich Personal- und Programmkosten ein Mehrbedarf von etwa 1,37 Millionen Euro besteht. Die Programmangebote sind der Kern der Aufgaben der Stadtteilkulturzentren. Die Suche nach Finanzquellen jenseits von institutioneller Förderung bindet derzeit Kräfte und verbraucht Ressourcen, die anderswo wieder fehlen.

Wenn immer höher steigende Kosten keine Luft mehr für Angebote lassen, wird sich die Stadtteilkultur – wenn es so weiter geht – am Ende aus Not selbst „auffressen“. Viele Stadtteilkulturzentren sind existenziell bedroht – und die Zahl der gefährdeten Einrichtungen steigt. Diese Tendenz muss dringend gestoppt werden. Für die hochengagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Stadtteilkultur, die in der Regel in Teil-zeit arbeiten und denen nach langen Jahren voller Selbstausbeutung und unbezahlter Überstunden eines Tages auch noch die Altersarmut droht, weil sie nicht genug in die Rentenkassen zahlen konnten, hat die Stadt eine Fürsorgepflicht. In anderen Bereichen der Kultur gibt es bereits einen Tarifausgleich – eine Zweiklassengesellschaft innerhalb der Kultur, für die jede Rechtfertigung fehlt.

920.000 Euro für Reparaturen, Investitionen und Ausbauten

Für dringende Reparaturen, Investitionen und Baukosten ergeben sich weitere Kosten in Höhe von etwa 920.000 Euro. Können die Zentren diese Investitionen auch weiterhin nicht tätigen, wird damit langfristig nicht gespart: Die Kosten steigen noch stärker an, da es zu weiteren Schäden kommt, die größere Sanierungsmaßnahmen notwendig machen werden.

Forderung 1: Für 2015 1,37 Millionen Euro mehr

Die Stadtteilkulturzentren brauchen sehr schnell mindestens 10 Prozent mehr Förderung, um die allerdringendsten Löcher zu stopfen. Um die kompletten Defizite auszugleichen, die sich durch Kostensteigerungen ergeben, sind 1,37 Millionen notwendig. Dafür müssen die Mittel, die durch die Kulturtaxe in den Haushalt gespült werden, endlich dorthin fließen, wo sie hingehören: in die Kultur.

Forderung 2: Neue Fördertöpfe zu den Themen gesellschaftlicher Wandel, demokratische Werte und sozialer Zusammenhalt

Doch Stadtteilkultur findet nicht nur in Stadtteilkulturzentren statt: Bürgerhäuser, Geschichtswerkstätten und viele kleine Einrichtungen und Initiativen leisten hervorragende Arbeit in den Bereichen lokale Kultur und kulturelle Teilhabe. Aufwachsende Initiativen brauchen eine angemessene Finanzierung, um Kultur für wirklich alle verwirklichen zu können. Dafür braucht es Projekttöpfe in den Themen­bereichen gesellschaftlicher Wandel, demokratische Werte und sozialer Zusammenhalt, die besonders innovative und wichtige Projekte verwirklichen helfen.

Forderung 3: Auf 10 Prozent in 10 Jahren

Langfristig sollte die Stadtteilkultur, deren Anteil am Kultur­haushalt derzeit bei unter zwei Prozent liegt, mit einem Anteil von zehn Prozent des Kulturhaushaltes finanziert werden. Damit würde endlich der Bedeutung dieser demokratischsten aller Kulturformen gerecht werden. Dafür sollte jedoch nicht bei der sogenannten Hochkultur und anderen Kulturformen gespart werden: Kultur ist in allen Formen wichtig für die Gesellschaft und hat eine herausragende Bedeutung für deren Entwicklung. Deshalb stünde es einer neuen Regierung gut an, den Hamburger Kulturhaushalt von beschämenden zwei Prozent am Gesamthaushalt entsprechend zu erweitern. r

KONTAKT:STADTKULTUR HAMBURG, Stresemannstraße 29, 22769 Hamburg, 040/879 76 46-0, , www.stadtkultur-hh.de

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