Perspektiven: Musik und Mitbestimmung auf den Elbinseln

Das Musikfestival „48 Stunden Wilhelmsburg“ hat dieses Jahr mit fast 500 Akteurinnen und Akteuren aus dem Stadtteil und 9.000 Besuchern einen entscheidenden Schritt fÜr die kulturelle Interaktion der Menschen auf den Elbinseln gesorgt. Das Projekt ist aber nur Teil eines umfassenderen Beteiligungsprozesses, den das BÜRGERHAUS WILHELMSBURG aktuell auf den Elbinseln anstößt.

Autorin: Steph Klinkenborg

„Noch ganz geschlossen ist die Musikszene, in der sich Taner Sen bewegt: Er spielt auf dem E-Piano bulgarische Lieder zwischen Folklore und Pop […] in einem Wilhelmsburger Club, in dem überwiegend Bulgaren sind, auf Hochzeiten in ganz Hamburg. Doch nun wird er mit Freunden und Kollegen auf dem Stübenplatz auftreten, zentraler geht es kaum. Und außerdem stehen hier morgens die bulgarischen Tagelöhner Schlange; warten, dass sie für ein paar Euros die schwere und schmutzige Arbeit erledigen können, die sonst niemand machen will. Vielleicht wird, wenn Taner Sen und sein Orchester spielen, so wenigstens für kurze Zeit deutlich, dass die Bulgaren nicht nur ihre Arbeits- und Tatkraft mitbringen, sondern auch ihre Kultur.“
Frank Keil, Hinz und Kunzt, Juni 2013

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48h Wilhelmsburg bespielt immer auch ganz normale Alltagsorte der Elbinseln: Die Morphinettes auf dem P&R-Deck des Parkhaus an der S-Bahn Station Veddel, Foto: Jo Larsson, www.jolarsson.com

Das Programm zum Festival 48h Wilhelmsburg wirkt wie eine soziale Utopie, die Realität geworden ist.“ schreibt Birgit Reuther im Hamburger Abendblatt. 115 Acts – sie alle eint ein Bezug zu den Hamburger Elbinseln – präsentierten ihre Musik an 62 Orten in Wilhelmsburg, Veddel, Georgswerder und Kirchdorf. Hier wurde deutlich mit welcher Passion und Bandbreite in Wilhelmsburg Musik gemacht und gelebt wird. Sollte es wirklich der Beginn einer sozialen Utopie sein, dann gilt es nun, das was hier an nachbarschaftlichem Gestaltungswillen und Kommunikationsstärke entwickelt wurde, in einen nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel zu transformieren. Geht das?

Die repräsentative Demokratie bietet hier nur begrenzte Einflussmöglichkeiten: Nur rund 60 Prozent der auf den Elbinseln Lebenden Über-18-Jährigen besitzen ein Wahlrecht und hiervon nehmen es nur rund 40 Prozent wahr. Kein Wunder, dass auch klassische Beteiligungsverfahren zu Stadtentwicklungsfragen bisher kaum greifen konnten: Die in Wilhelmsburg ansässigen Milieus und Bevölkerungsschichten sind genau die, die sich von klassischen Beteiligungsverfahren nicht eingeladen fühlen.

Technisch, spaßfrei und mit engen Vorgaben der Entscheider sind die Beteiligungsverfahren der letzten Jahre auf den Elbinseln Wilhelmsburg und Veddel in Erinnerung geblieben. Doch neben den sich klassisch nicht einmischenden Gruppen, gibt es auch eine sehr starke Kultur der Bürgerbewegung in Wilhelmsburg. Gewachsen seit der Flut 1962 und bei diversen Großvorhaben, die verhindert oder zumindest kritisch begleitet werden konnten. So war zuletzt auch die zum Auftakt der Planungswerkstätten „Zukunftsbild Elbinseln 2013+“ laut geäußerte Kritik der Menschen vor Ort erfolgreich: Nach intensiven Diskussionen mit der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) und dem Bezirk Hamburg Mitte hat das Bürgerhaus Wilhelmsburg nun den Zuschlag für die DurchfÜhrung eines „von unten“ organisierten Verfahrens für die Entwicklungsplanung der Elbinseln erhalten. Ziel des Geschehens ist, dass alle, die Interesse an der Veddel und Wilhelmsburg haben, die Chance bekommen sich einzumischen: Menschen, die auf den Elbinseln leben, arbeiten, ihre Firma haben, in Vereinen oder Gruppen aktiv sind, die mit ihrer Institution vor Ort arbeiten, die sich in den Parlamenten, Gremien und Ausschüssen engagieren oder die sich in den Verwaltungen beruflich mit den Elbinseln befassen. Alle sollen an einen Tisch gebracht werden und gemeinsam beraten, was für die Entwicklung der Elbinseln wichtig ist.

Am Tisch sitzen bereits viele engagierte Menschen und Gruppen aus Wilhelmsburg und von der Veddel. Nun gilt es aber auch die Zielgruppen zu erreichen, die bisher noch nicht den Weg an den Tisch gefunden haben. Wie sehr da die quasi universelle Weltsprache Musik und die bereits gemachten Erfahrungen an kulturellen Beteiligungsprojekten wie 48h Wilhelmsburg helfen können, wird sich nun zeigen.

48h Wilhelmsburg ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie Partizipation über kulturelle Teilhabe funktionieren kann. Das Projekt bietet konkrete, niedrigschwellige und sehr individuelle Möglichkeiten, sich an der Gestaltung der 48h und des Stadtteil zu beteiligen. Es werden jedes Jahr Musikschaffende jeder Kultur, aller Genres, Professionalisierungs- und Altersstufen eingeladen, ihre Kunst 48 Stunden lang an einem Wochenende zu präsentieren. Wer keine Musik macht, lädt zu sich nach Hause ein bzw. gestaltet einen Ort mit. In monatlichen Zirkeltreffen tauschen sich die Akteure aus und lassen das Programm sehr fantasie- und liebevoll wachsen.

Und so entstehen täglich neue Kontakte und Ideen, die den Stadtteil kontinuierlich bereichern. Das lässt auch 48h von Jahr zu Jahr ganz organisch wachsen und wird den neuen Beteiligungsprozess an entscheidenden Stellen auf eine breitere Basis stellen können. Eine soziale Utopie die Wirklichkeit werden kann? Das Bürgerhaus arbeitet daran.

Kontakt:
Bürgerhaus Wilhelmsburg Mengestraße 20, 21107 Hamburg, 040/75 20 17 14, www.buewi.de

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